Konzept

Norbert Heltschl

Heute 26.1.2006 •

Nach 63 Jahren möchte ich mich den persönlichen Kriegsereignissen in Stalingrad, durch eine
fällige Dokumentation befreien.

Ich wurde als Besitzer eines Segelflugscheines nicht zu den Gebirgsjägern, sondern zur
Luftwaffe einberufen (Flughafen Klagenfurt 1941) und zum Bordfunker in Oppeln getrimmt.

1942 wurde das qualifizierte fliegende Personal, Piloten, Bordfunker, Bordschützen wegen
Benzinmangel „abgelöst“. Kurzfristig als Infanteristen ausgebildet und den lauernden Russen
zum Fraß vorgeworfen. Meine Kompanie wurde zum FLUMfunk am Boden degradiert.

1. Einsatz Führerhauptquartier in Kasatin/Ukraine.

Wir Österreicher haben uns mit den Ukrainern angefreundet und konnten Brot(Chlieb) und
Eier(Jeizi) kaufen.

Große Freude: Marschbefehl nach Frankreich.

Dann die große Enttäuschung. Unser Feldwebel hatte „Halsweh“, das heißt, wenn er Offizier
werden wollte, müsste er Fronteinsatz nachweisen können. Er konnte bewirken, dass der
Marschbefehl für den Fronteinsatz Russland geändert wurde. Marschroute Stalingrad.

Am Rande der Stadt mussten wir unsere FLUMfunkstelle im Schnee installieren. Tag und
Nacht abwechselnden Dienst. In einer Hütte haben wir uns eingenistet. Die ganze Nacht
Bombenabwurf von einem kleinen Flugzeug. (RATA, russischen Polikarpow 1-16)

Mitte Jänner 1943- ALARM.

Unsere Funkstelle wurde bombardiert, aber nicht getroffen.

Die russische Armee hat Stalingrad eingekreist.

Stalingrad:

Flucht der Italiener und Rumänen an uns vorbei, ohne Mäntel.

Uns erreichte ein Funkspruch: „Aushalten bis zum letzten Mann.“

Ein Tag später ein Funkspruch: „Rette sich wer kann.“

Überstürzt und verfolgt, flüchteten wir in Richtung Norden und gelangen in einen Talkessel,
in dem hunderte Flüchtende sich sammelten.

Tagesbefehl: Morgen früh - Durchbruch nach Westen, durch russisches Gebiet.

In der Früh waren alle Offiziere in der Nacht heimlich verschwunden, stattdessen warteten auf
der Hügelkante etwa 40-60 russische Panzer, in Reih und Glied. Sie schossen ein
Trommelfeuer und entfachten eine Katastrophe, bei der viele hunderte Soldaten ihr Leben
ließen. Mit einigen Mutigen konnte ich mich seitlich durchschlagen. Meine Schi, welche mir
zur Flucht helfen sollten, musste ich wegwerfen. Weit hinter den Russen erreichten wir einen
Panjeweg zwischen meterhohen Schneewächtem, der na Norden führte.

Auf beiden Seiten dieser Spur saßen erfrorene deutsche Soldaten - Bildstöcke des Grauens.
Wer nicht mehr weiter konnte, setzte sich neben den Weg in den Schnee und erfror.

Es war ein sportlicher Marathon bei -40°C. zum Essen die letzten
Semitschki(Sonnenblumenkeme), zum Trinken den Schnee.

Ein trauriges Zwischenergebnis: Endlich ein Stadel mit Heu. Wir Wenigen verkrochen uns ins
Heu. In der Früh ein Schock: Meine ledernen, pelzgefütterten Fliegerstiefel hatte mir ein so
genannter Kamerad gestohlen. Die schäbigen Knobelbecher(Stiefel) hatte er zurückgelassen.


Später hatte ich das Glück, dass ich auf einer Kufe eines Panjewagens stehen durfte, weil ich
von meiner Mutter einen Flachmann!Schnaps) mithatte und dem Panjelenker laufend einen
Schluck vergönnte.

Erlebnis auf der Schlittenkufe: Ein maroder Generalarzt wollte auf die 2te Schlittenkufe
steigen, bettelte - hatte aber nichts anzubieten - der Panjefahrerjagte ihn mit Peitschenhieben
davon. Seine Begründung: Er habe den Befehl, den gefallenen General EIBEL, welcher sich
auch in der Nacht heimlich davon macht, durchzuschleusen, für ein Staatsbegräbnis in
Deutschland.

In der Nacht, Dämmerung 14.00 auf den 26.1.1943 stopp.

Großangriff auf die flüchtenden Soldaten.

Ein Gegenhang bot sich an, für gute Sicht. Diese Schlacht war für die meisten das Ende.
Granatwerfer und Maschinengewehrsalven trafen mich mit 7 Schuss. Das vorgespannt Pferd
hatte einen Großteil der Projektile abgefangen. Pferd und Fahrer tot. In einiger Entfernung -
sterbende Soldaten, die nach ihrer Mutter schreien - die Russen kamen näher und schreien
nach Tschassi(Uhren), anschließend wurden die Soldaten erschlagen.

Ich lag regungslos da, dem Schicksal ausgeliefert. Die Winterhose voller Blut, welches gefror.
-40°C.

Das Wunder:

Ein junger Soldat, von oben kommend wankte auf mich zu, hält sich am Ross, weil er blind
ist, hebt mich auf, legt mich quer über das Ross. Der Ritt führte weg vom Schlachtfeld, mein
Retter hielt sich an der Schnauze des Pferdes. Das ging die ganze Nacht. Im Morgengrauen
kamen wir zu einer kleinen Sanitätsstation. Die Sanitäter konnten nur wenig helfen, die
blutende Wunde am Oberschenkel war größer als eine Handfläche. Sie versprachen mir, dass
ich abgeholt werde.

Von diesem Zeitpunkt ab weiß ich nichts mehr, erst vor Ravensburg, dem Lazarett, wurde ich
im Zug mit Musik geweckt: Mein schönes Innsbruck am grünen Inn, tönte es.

Was mir am Herzen liegt zu sagen: Mein Mutter war sehr religiös, sie ging jeden Tag in die
Totengruft-Kapelle und mindestens Ix in der Woche von Imst nach Sinnesbrunnen.

Sie war im Glauben so stark und voller Zuversicht, dass ihr Gebet erhört wird.

In ihrem Brief: „Du kommst aus dem Krieg heim, ich habe mit der Mutter Gottes
gesprochen.“

Meine Religiosität, mein Glaube wurde gestärkt, ich habe versucht die biblischen Gebote zu
beherzigen.

Jedoch die Institution Kirche, vom Papst bis zum bürokratischen Pfarrer zu den Höflingen in
den Diezösan-Büros machen es mir schwerer regelmäßig Gottesdienste zu besuchen.

Erkenntnisse aus dem Erlebnis:

Stattdessen ein besseres Programm, das Evangelium mit den Grundwahrheiten, die es mit
anderen Religionen teilt.

Imst 26.1.2006 Norbert Heltschl

meiner lieben Frau. Kinder u. Enkel.

70 Jahre Kriegskatastrophe Stalingrad

Kein Heldentum, keine Versager, nur der Überlebenstrieb

Der bekannte Imster Architekt Norbert Heltschl, wohl einer
der wenigen überlebenden Stalingrad-Zeitzeugen des Bezirkes,
gab der RUNDSCHAU die Möglichkeit zu einem ausführlichen
Gespräch. Am 26. Jänner, dem Jahrestag seiner schweren Kriegs-
verletzung, gibt Norbert Heltschl tiefen Einblick in das Entset-
zen in und um Stalingrad im Jänner 1943. Es geht dabei nicht
um -Knegshelden“ und schon gar nicht um „Versager“. Es geht
vielmehr um Menschen, die überleben wollten, oft in einem
aussichtslosen Kampf.


charte-Frw Heltschl!


Vc" ^lerßundschuh

Am 2. Februar 1943 lag die Stadt
m der Wolga in Schutt und Asche,
--t Kämpfe waren zum Stillstand
gekommen, Stalingrad zum Mas-
sengrab geworden. Von den 50000
Österreichern. die zur 6. Armee
emgezogen worden waren, kehrten
die wenigsten in die Heimat zurück.
Unter ihnen der schwer verwundete
Gefreite Norbert Heltschl aus Imst.
Ztr ef ez s gefährlich Verletzte erin-
nert sich an jenes Ereignis nicht, er
er.mgte m fiesen Tagen kaum das
Bewusstsein. »... von diesem Zeit-
punkt ab weiß ich nichts mehr, erst
vor Ravensburg, dem Lazarett, wur-
de ich im Zug von Musik geweckt:
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hm. ::n:e es zem Lautsprecher.“
Im Jahne l941 wurde der spätere Ar-
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wurde aber zum Bodendienst am
Funkgerät „degradiert“. Es ging
Richtung Osten. Erste Station war
die Ukraine. Wir Österreicher ka-
men mit den Ukrainern gut aus
und konnten Brot und Eier kaufen.
Über einen kurzen Zeitraum gab
es sogar Hoffnung auf einen Ein-
satz in Frankreich.“ Ein ehrgeiziger
Feldwebel, unter dem der Gefreite

Heltschl diente, erwirkte aber den
Fronteinsatz der Kompanie in Russ-
land. Dem Unteroffizier ging es
um einen Karrieresprung, der ohne
Frontdienst nicht machbar war. So-
mit fanden sich die Soldaten vor
Stalingrad wieder. Ihre Aufgabe war
es, einfliegende Feindflugzeuge per

Norbert und Maria Heltschl - ehemals
Professor und Studentin, lange schon
ein Ehepaar


Bodenfunk weiterzumelden. „Wir
hatten unsere Station im Schnee
installiert und uns in einer kleinen
Hütte eingerichtet. Der 24-Stunden-
Beobachtungsdienst wurde schicht-
weise geleistet. Dann Mitte Jänner
1943 ALARM, unsere Funkstelle
wurde bombardiert, aber nicht ge-
troffen. Geflogen wurde der Angriff
von kleinen, tief fliegenden Polikar-
pow I-16-Maschinen, genannt Rata,
also die Ratte. Die Bomben warfen
die Russen per Hand ab. Die Rote
Armee hatte Stalingrad nun endgül-
tig eingekreist.

AUF DER FLUCHT. Die Funk-
befehle der nächsten Tage lauteten:
„Aushalten bis zum letzten Mann“,
dann aber endlich: „Rette sich wer
kann“. Überstürzt und verfolgt er-
reichten Heltschl und seine Kom-
paniekameraden einen Talkessel mit
Hunderten Soldaten auf dem unkon-
trolliert verlaufenden Rückzug. Ein
Durchbruch durch russisches Gebiet
nach Westen kam nicht zustande.
Die befehlshabenden Offiziere hat-
ten sich in der Nacht abgesetzt. Der
ehemalige Soldat der aufgeriebenen
6. Armee berichtet weiter: „Stattdes-
sen waren am Morgen die umlie-

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Am 24. Februar 1943 erhielt die Mutter des Gefreiten Norbert Heltschl die b
richt, dass ihr Sohn vermisst werde.                              RS-Fotos: Bum

genden Hügel von etwa 60 Panzern
der Sowjetarmee besetzt. Sie schos-
sen ein Trommelfeuer und entfach-
ten eine Katastrophe, bei der Hun-
derte Soldaten ihr Leben ließen. Mit
einigen Mutigen konnte ich mich
durchschlagen. Durch die Schnee-
wächten führte eine Art Hohlweg.
Zu beiden Seiten der Spur saßen
tote deutsche Soldaten als steifge-
frorene Bildstöcke des Grauens.
Es hatte rund minus 40 Grad, zum
Essen die letzten Sonnenblumen-
kerne, zum Trinken Schnee.“ Nach
einer Nacht im Heuschober stellt
der Imster Soldat fest, dass ein be-
sonders „edler Kamerad“ hinterrücks
dessen schäbige Knobelbecher gegen
seine guten, gefutterten Stiefel ausge-
tauscht hatte. Immerhin gibt es für
die nächsten Kilometer eine Mitfahr-
gelegenheit auf den Schlittenkufen
eines Bauemführwerks, aber nur im
Tausch gegen Schnaps wohlgemerkt.
Und weiter im Bericht: „In der

Nacht zum 26. Jänner kam es (
zum Großangriff auf die fliehei
Soldaten. Diese Schlacht war
die meisten das Ende. Granatw
und Maschinengewehrsalven ti
mich mit sieben Schuss. In eil
Entfernung schrien sterbende L
ser nach ihren Müttern. Die Rt
kamen näher und brüllten Tsc
(Uhren), anschließend wurden
Verwundeten erschlagen. Ich laj
dem Schicksal ausgeliefert. Die1
terhose voll gefrorenem Blut, :
wie vor hatte es um die minu
Grad.“

SO ETWAS WIE EIN W
DER? „Ich möchte die folgei
Ereignisse nicht Wunder nen
aber es grenzte wohl daran“,
Norbert Heltschl fort. „Ein ju
Soldat wankt auf mich zu. Er
sich an einem Ross fest, durch
Verwundung muss er schwer
behindert oder blind sein. Er


RUNDSCHAU Seite 34

6./7. Februar

mich auf und legt mich quer über
das Pferd. Wir entfernen uns vom
Schlachtfeld, es geht während der
ganzen Nacht so weiter. Mein Retter
hält sich an der Schnauze des Trag-
tieres fest. Im Morgengrauen errei-
chen wir eine kleine Sanitätsstation,
die Sanitäter können aber nur wenig
fur mich tun, die Oberschenkelwun-
de ist größer als eine Handfläche. Sie
versprechen, dass ich abgeholt wer-
de. Von diesem Zeitpunkt an weiß
ich nichts mehr.“ Norbert Heltschl
war nie davon angetan, einrücken
zu müssen. Stalingrad machte ihn
aber zum entschlossenen und kom-
promisslosen Kriegsgegner und An-
timilitaristen. Seine schriftlichen Er-
innerungen sind seiner Frau, seinen
Kindern und Enkeln gewidmet.

Tausende Soldaten aber auch Zi-
vilisten starben für nichts und wie-
der nichts in einer zynischen Pres-
tigeschlacht. Nicht einmal auf dem
Papier gibt es Argumente für eine
auch noch so fadenscheinige „stra-
tegische Rechtfertigung“ des Mas-
sensterbens in Stalingrad. Stalingrad
hieß eben STALINGRAD - und das
reichte.



RIEFKASTEN


im

Tre
ten
18


ver